Hermann Glöckner: Aus der Werkstatt eines DDR-Außenseiters

Hermann Glöckners Dreieckskomposition „Aufgipfelung in Weiss und Schwarz“, die 9 x 14 x 2,5 cm misst. Quelle: Nachlass Hermann Glöckner (VG Bild-Kunst befreit)/ Galerie Florian Sundheimer
München. Ein Leben lang ist der Maler und Plastiker Hermann Glöckner der Spur der Linie und der Geometrie gefolgt. Selbst als 90-Jähriger hat der Avantgardist hinter dem Eisernen Vorhang in seinem Atelier in Dresden schwarze, weiße, gelbe oder rote keilförmige Dreiecke zu abstrakten Sinnbildern zusammengeschoben. Bis zu seinem Tod 1987 war der Verweigerer des sozialistischen Realismus gefesselt von der Magie sich kreuzender Linien. Heute ist er in Museen wie dem Frankfurter Städel, der Nationalgalerie in Berlin oder im Museum of Modern Art in New York vertreten.
Doch zwischen messerscharf konstruierten Gemälden und leuchtenden Papierarbeiten hat Glöckner auf kleinen Papierfetzen, auf banalen Postkarten und ausgerissenen Zeitungsartikeln ganz für sich und im Stillen die Möglichkeiten malerischer Abstraktion viel weiter erkundet als erahnen lässt. Und mit Pappstreifen, Streichhölzern, Weintraubenstielen und Gips schuf er skulpturale Winzlinge, die im ersten Moment wie spielerische Formexperimente wirken. In ihren gedanklichen Dimensionen gehen sie jedoch weit über die wenigen Zentimeter hinaus. Etwa 80 dieser „Miniaturen“, wie Nachlassverwalter und Glöckner-Experte Sebastian Schmidt sie bezeichnet, präsentiert derzeit die Galerie Florian Sundheimer, im München.

Hermann Glöckners Papierarbeit mit Temperafarbe „Weißer Balken über dunkelbraunem Vieleck auf rotbraunem Grund“ von 1956 (12,6 x 17,5 cm). Quelle: Nachlass Hermann Glöckner (VG Bild-Kunst befreit) / Galerie Florian Sundheimer
Dialog mit Willi Baumeister
Glöckners Rolle als einer der konsequentesten Verfechter des Konstruktivismus ist in den letzen Jahren in vielen Ausstellungen gewürdigt worden. Doch gibt Sundheimer mit seiner Schau zum ersten Mal einen Überblick über die Miniaturen von den späten 1940er- bis in die 1970er-Jahre. Was da zum Vorschein kommt, zeichnet das Bild eines Künstlers, der im Spiegel der Nachkriegskunst selbst auslotet.
Unübersehbar ist der Werkstattcharakter. Wenn Glöckner 1952 auf einem halbierten Bogen Briefpapier blaue und gelbe Farbflecken setzt, die von schwarzen, bewegten Linien überlagert sind, spürt man seinen Dialog mit Informellen wie Willi Baumeister. Im Kleinen wird probiert. Auf einer runden Pappscheibe testet er die kompositorische Wechselwirkung zwischen einem grünen Halbkreis und einem roten Kreis.
Widerstand gegen die Realismus-Doktrin
Allesamt verraten die Blätter eine Lust am Experiment und am Unvorhersehbaren; aus ihnen spricht die Offenheit, sich alles künstlerisch zu eigen zu machen, im inneren Widerstand gegen die Realismus-Doktrin. Selbst eine Streichholzschachtel. Für Glöckner waren die Miniaturen nicht nur Fingerübung, sondern wohl auch eine Art Arbeits- und Gedankenprotokoll. Denn manche Skizzen hat er zu Gruppen auf schlichte DIN-A-4-Blätter montiert und penibel in sechs Orwo-Fotoschachteln verwahrt.

Die „Zwei sich durchdringenden gleichschenkligen Dreiecke“ (1970) aus dem Karton einer Babysan-Packung hat Hermann Glöckner auch in Blech und Stahl variiert, unter anderem für eine Plastik vor dem Bundeshaus in Bonn. Quelle: Nachlass Hermann Glöckner (VG Bild-Kunst befreit) / Galerie Florian Sundheimer

Linien, die sich überlagern, und Dreiecke, die wie Keile in die Fläche treiben, haben Hermann Glöckner zeitlebens beschäftigt. Mit grüner Kreide zog er 1970 die „Sich kreuzenden, sternförmigen Linien auf schwarzen Grund“. Maße: 13,5 x 12,5 x 3,2 cm. Quelle: Nachlass Hermann Glöckner (VG Bild-Kunst befreit) / Galerie Florian Sundheimer
Der ehemalige Außenseiter der DDR-Kunstszene hat heute seinen festen Platz auf dem Kunstmarkt. Seit Jahren gehört er zum Programm der Galerie Döbele. Im Sommer dieses Jahres meldete das Auktionshaus Villa Grisebach einen Rekorderlös von 100.000 Euro (mit Aufschlag) für die „Projektion eines Keils“ von 1933 aus der bedeutenden Reihe der Tafelbilder. In anderen Dimensionen liegen die Preise für das Spätwerk. Das Auktionshaus Irene Lehr etwa versteigerte unlängst abstrakte Gemälde aus den 1980er-Jahren im unteren fünfstelligen Bereich inklusive Aufgeld.
„Doch ihn als Geheimtipp zu bezeichnen, das wäre Verklärung“, sagte Sebastian Schmidt im Gespräch mit dem Handelsblatt. Schon vor dem Mauerfall schätzten Sammler auf beiden Seiten der deutsch-deutschen Grenze das außergewöhnliche Werk. Von den Kulturbonzen aus ideologische Gründen ins Abseits geschoben, gelangten via staatlichen Kunsthandel der DDR seine Werke gegen Devisen dennoch in die Hände westlicher Galeristen und so auch in viele westlichen Privatsammlungen.
Dreigeteilter Nachlass

Leichter zugänglich wurde sein Werk erst nach 1989. Glöckner hatte seinen Nachlass drei Erben vermacht, darunter auch dem ehemalige Direktor des Dresdner Kupferstichkabinetts, Werner Schmidt. Er hatte gegen offizielle Vorbehalte um 1970 Glöckners museale Würdigung in der DDR in Gang gesetzt. Wie sein Vater ist auch der in Dresden ansässige Nachlassverwalter Sebastian Schmidt der Meinung, dass ein Werk wie das von Glöckner ein Eigenleben jenseits des Museumsbetriebs braucht.
Eine moderate Preispolitik bei Sundheimer hat gewiss einiges dazu beigetragen, dass von den über 100 im Katalog offerierten Arbeiten bereits mehr als ein Drittel verkauft ist. Die Preise liegen meist zwischen 1.500 und 3.000 Euro. Teuerstes Objekt ist die aus schwarzen und weißen Dreiecken bestehende „Aufgipfelung“ von 1967 auf dem Deckel einer Pralinenschachtel. Nicht unerheblich dürfte die Provenienz sein: eine Dresdner Privatsammlung.
„Hermann Glöckner. Miniaturen“; Florian Sundheimer Kunsthandel, bis 31. Oktober 2015. Der Katalog mit Abbildungen aller angebotenen Objekte und einem Einführungstext von Michaels Semff ist gegen einen Schutzgebühr von 20 Euro über die Galerie zu beziehen.





