Sachwerte-Investition: Der Markt für Grafikeditionen hat Potenzial

Das 1982 entstandene Bild hat Kultstatus, wenn der Siebdruck signiert, nummeriert und mit dem Copyrightstempel des Künstlers sowie des Herausgebers versehen ist.
München. Kunst sei die schönste Art, sein Geld anzulegen, heißt es oft. Aber wer in Werke gefeierter Künstler wie Andy Warhol, Georg Baselitz oder Gerhard Richter investieren möchte, sieht sich nur zu oft mit schwindelerregenden Preisen im sechs- und siebenstelligen Euro-Bereich konfrontiert. Eine Alternative bieten sogenannte Grafikeditionen moderner und zeitgenössischer Künstler und Künstlerinnen. Die Spannweite reicht vom Jahrhundertkünstler Pablo Picasso bis zur deutschen Feministin Rosemarie Trockel.
Gemeint sind mit Editionen besonders sorgfältig produzierte Lithografien, Radierungen, Offsetdrucke, Holzschnitte und mitunter Fotogravuren, die in einer streng limitierten Auflage gedruckt wurden sowie von den Künstlern nummeriert und signiert sind. Dieser Bereich der Grafikeditionen ist allerdings ein weites Feld. Und er funktioniert in einem Punkt wie der gesamte Kunstmarkt: Die besten Chancen auf Wertbeständigkeit und Wertzuwachs haben die Werke renommierter, international anerkannter Künstler wie Ed Ruscha, Sigmar Polke oder A.R. Penck und Christo & Jean Claude.
Der Fokus richtet sich dabei auch auf Künstler, die sich gerade durch eine Reihe großer Museumsausstellungen oder durch Präsenz in bedeutsamen Galerien auszeichnen. Dazu zählen etwa der Digitalkünstler Refik Anadol oder die zwischen Pop und Surrealismus changierende Französin Joana Vasconcelos.
In den vergangenen 30 Jahren hat die Pop-Art dem Grafikmarkt starken Auftrieb gegeben. Warhol, Tom Wesselmann, Roy Lichtenstein – ihre originellen, witzigen, populären Sujets sind Teil der Alltagskultur geworden. Sie sind heute die Superstars dieses Marktsegments.
Keith Harings kompletter Vierersatz „Andy Mouse“ von 1986 erzielte 2021 im Auktionshaus Ketterer etwas über eine Million Euro. Der Grund: Es war ein Set aus den zehn Künstlerexemplaren und nicht eines aus der 30er-Auflage. Seltenheit erhöht hier den Preis. Warhols „Goethe“ in Blau-Rot schwankt inklusive Aufgeld auf Auktionen zwischen 60.000 und 100.000 Euro je nach Zustand und Konkurrenzsituation der Interessenten.

Auch das Blatt eines internationalen Topkünstlers kann erschwinglich sein.
Aber nicht jede „Marilyn“ ist ein Vermögen wert. Harings Strichmännchen und Warhols Fotoverfremdungen wurden mitunter in hohen Auflagen, unsigniert, ungestempelt und als simpler Farbdruck für Posterhändler und Museumsshops gedruckt. Ein Originalkunstwerk ist das nicht und der Auktionspreis von 800 Euro gewiss kein Schnäppchen.
In welche Preisregionen Originalgrafik auch jenseits der Pop-Art vorstoßen kann, zeigte Mitte April die Versteigerung einer Firmensammlung beim Auktionshaus Christie’s in New York. Herausragend war dort Barnett Newman, einer der wichtigsten US-Vertreter der ungegenständlichen Farbfeldmalerei. Dessen komplette, 18-teilige Printserie „Cantos“, um 1963/64 geschaffen, wurde inklusive Aufgeld für 2,1 Millionen Dollar verkauft.
Teilhabe mit fast jedem Budget möglich
So hoch muss keiner einsteigen. Dem stimmt auch der in München agierende Kunstverleger Matthias Kunz zu, Mitinhaber der Knust Kunz Galley Editionen. „Durch den Druck mehrerer Exemplare ist die Teilhabe am Werk eines Topkünstlers in nahezu jedem Budget realisierbar“, so Kunz.
Georg Baselitz' Aquatinta „Winterschlaf“ von 2014 bietet die Knust Kunz Gallery momentan für 7700 Euro an. Mit dem Maler, der seine Motive kopfüber abbildet, und dem österreichischen „Übermaler“ Arnulf Rainer, aber auch mit Deutschlands Shootingstar Daniel Richter arbeitet er seit Jahren zusammen.
Die Preise für Grafiken von Rainer und Baselitz seien in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen, so Kunz. Dass diese Kunstwerke dennoch weiterhin erschwinglich sind, offenbaren etwa die Auktionsergebnisse einiger Werke von Arnulf Rainer. Sie liegen inklusive Aufgeld zwischen 3000 und 10.000 Euro. Einen extremen Preisanstieg für zeitgenössische Grafik heraufzubeschwören, davor hüten sich Insider deswegen eher.

Mit dieser expressionistischen Grafik aus dem Jahr 1909 wurde beim Auktionshaus Karl & Faber ein Spitzenpreis erzielt (Ausschnitt).
Tobias Birr von dem Kopenhagener Grafikhandel „Borch-Editions“ kennt den Markt. Die Dänen haben gestandene Künstler wie Per Kirkeby im Programm, aber auch gerade etablierte wie die afroamerikanische Malerin und „Documenta“-Teilnehmerin Julie Mehretu und die Multimediakünstlerin Tacita Dean. Ihr „Darmstädter Werkblock“, bestehend aus acht Blättern, kostet dort momentan 27.500 Euro.
Wer aufs Artflipping, sprich auf das schnelle spekulative Weiterverkaufen von Kunstwerken zwecks Gewinnmitnahme aus ist, wird um den Grafikmarkt einen Bogen machen. Wertsteigerungen seien am Grafikmarkt im Allgemeinen nicht so extrem, „dafür ist der Grafikmarkt beständiger“, sagt Birr.
Kommerzielle Auflagen haben mit Kunst nichts mehr zu tun
Nicht jede Edition verdient das Prädikat Kunst. „Es gibt auch Überproduktionen, denen jeder ahnungslose Spekulant nachläuft“, gibt Till Breckner zu bedenken, Kunstverleger und Inhaber der Düsseldorfer Galerie Breckner. In Europa ist eine Auflage zwischen zwölf und 100 Exemplaren üblich.
Als Kunstverleger ist Breckner stolz auf die exklusive Zusammenarbeit mit Günther Uecker und Heinz Mack, zwei der gefragtesten Künstler der Düsseldorfer Gruppe „Zero“. Stattliche 148 mal 196 Zentimeter misst der „Spektrale Farbklang“, bisher die größte Mack-Grafik überhaupt. Vom Druck mit 27 Sieben existieren 60 Exemplare. Der Preis liegt jeweils bei 19.500 Euro. Aber er warnt: „Bei eher kommerziellen Auflagen, die bis zu 1000 Exemplare umfassen wie bei manchen Werken von Jeff Koons und Damien Hirst, sind die Drucke an einen Markt adressiert, der sich längst von der Kunst entfernt hat.“
In allen Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts ist die Parallele zwischen anziehenden Preisen für die Gemälde eines Künstlers und der steigenden Wertkurve seiner Editionen zu beobachten. Erfolgskünstler wie Gerhard Richter, Otto Piene, Karin Kneffel oder internationale Künstler wie John Baldessari, Christopher Wool oder Bridget Riley sind auch die begehrten Autorinnen und Autoren auf dem Gebiet der zeitgenössischen Grafik.
Man kann auch noch ein bisschen weiter zurückschauen. Ein eindrückliches Beispiel sind die Grafiken des 2022 verstorbenen Pierre Soulages. Der Franzose gilt seit mehr als einem halben Jahrhundert als einer der bedeutendsten Vertreter der informellen Malerei. Als seine schwarzen, pastos gemalten Balkenkompositionen nach 2010 auf Auktionen die Millionengrenze überschritten, rückten seine Grafiken aus den 1960er- und 1970er-Jahren vom ehemals vierstelligen in den fünfstelligen Euro-Bereich.
Aber nicht jeder Preisanstieg schlägt sich sofort im Printbereich nieder. Die Editionen von Günther Förg und Günter Fruhtrunk etwa, zwei abstrakte Künstler der 1980er- und 1990er-Jahre, deren Gemälde auf Auktionen gerade für Überraschungen sorgen, klettern trotzdem selten über die 1000-Euro-Marke hinaus.
>>Lesen Sie auch: Der Kunstunternehmer Rüdiger K. Weng will limitierte Editionen für Investoren attraktiv machen
Im weitesten Sinne braucht der Markt für Grafikeditionen Zeit zum „Reifen“. Der Grafikmarkt lebt nicht allein vom klangvollen Namen des Künstlers. „Viele Interessenten wollen ein Bild mit einem hohen Wiedererkennungswert“, sagt Rüdiger Weng. Seine Verkaufsplattform Weng Contemporary bietet über das Internet internationale Auflagengrafik von Damien Hirst und Anish Kapoor bis Robert Indiana an. Alex Katz“ Serigrafie „Yellow Tulip“ von 2014 in einer Auflage von 50 Exemplaren kostet hier 35.000 Euro.
Das Webunternehmen hat in seinem Portfolio vor allem populäre Motive von Künstlerinnen und Künstlern mit einer breit aufgestellten Anhängerschaft. Weng empfiehlt Sammlern: „Der Künstler sollte eine globale Marke sein und das Motiv für das Œuvre typisch.“
Ein spezielles Gebiet für Kenner ist die Grafik der Klassischen Moderne. Außergewöhnliche Blätter wie Ernst Ludwig Kirchners farbige Lithografie „Dodo mit japanischem Schirm“ von 1909 erzielen – wie in diesem Sommer beim Auktionshaus Karl & Faber – einen Spitzenpreis von brutto 317.000 Euro. Denn dieses Blatt hat vieles, was Sammler wollen: Die Dargestellte ist die damalige Geliebte des Künstlers, die er mit schneller, expressiver Linienführung umrissen hat. Und zudem sind nur sechs Abzüge dieses Drucks bekannt. Welche Preisdynamik dieses Blatt entwickeln wird oder ob es bereits den Zenit erreicht hat, bleibt Spekulation.
Die frühe Moderne-Grafik ist ein bereits genau vermessenes Sammelgebiet zwischen raren Blättern von Otto Dix und Max Beckmann und häufig vorkommenden Holzschnitten von Kirchner, Erich Heckel und Karl Schmidt-Rottluff. Der Kunstmarkt hält heute für Grafikinteressenten unzählige Möglichkeiten bereit. Die hier aufgeführten Kunstverleger sind nur ein Ausschnitt.
Auktionshäuser mit breitem Angebot
Zahlreiche Galerien wie etwa Galerie Boisserée, Galerie Ludorff oder Galerie Thomas führen in ihren Beständen Prints von Klassikern und bieten in Verkaufsausstellungen Überblicke über ein Werk und Stilrichtungen inklusive kenntnisreicher Beratung. Die Galerie Française etwa ist auf Werke der sogenannten École de Paris der 1940er- bis 1960er-Jahre fokussiert. Ihr Programm umfasst Serge Poliakoff bis Joan Miró.
Ein breites Angebot offerieren Auktionshäuser. Jeschke Jadi in Berlin pflegt ein spannendes Preis- und Qualitätsspektrum. Unumgänglich sind auch die Versteigerungen von Contemporary und Nachkriegskunst bei Nagel, Karl & Faber, Villa Grisebach oder Lempertz und Van Ham in Köln beziehungsweise Sotheby’s und Christie’s.

Wer Kunstmessen wie die Art Basel oder die Art Cologne besucht, kann sich schnell und direkt einen Überblick verschaffen. Die IFPDA in New York nennt sich die weltweit größte Messe für Prints und Editionen. Hier sind Global Player wie Galerie Lelong, David Zwirner und Marlborough Gallery vertreten.
Als Fazit bleibt: Der Markt für Grafikeditionen ist keine stille Seitengasse des Kunstmarkts, sondern beliebtes Sammelgebiet mit Potenzial.
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