Jürgens Weinlese: Verloren vor dem Weinregal

Kunde vor einem Weinregal im Supermarkt: Angesichts des riesigen Sortiments fällt die Entscheidung schwer. Auf neuen Websites erhalten Weinliebhaber Empfehlungen für ihren Geschmack.
Wie wählen Sie Ihren Wein bei einer Online-Bestellung aus? Bestellen Sie anfänglich Probierpakete, um anschließend Ihre Lieblingsweine nachzubestellen? Oder kaufen Sie nur bekannte Tropfen? Wie wichtig sind für Sie Beschreibungen des Inhalts? Und vertrauen Sie Wein-Empfehlungen?
Wenn ich mit Arbeitskollegen oder Freunden über Weine rede, habe ich den Eindruck, dass Empfehlungen eine wichtige Rolle spielen. „Wenn ich im Supermarkt vor dem Weinregal stehe, weiß ich nie, welcher Wein wie schmeckt und welcher der richtige für meinen Geschmack ist“, hat mir kürzlich ein Arbeitskollege gesagt. Solche Sätze sind angesichts eines riesigen Angebots eher die Regel als die Ausnahme. Dementsprechend rücken Wein-Empfehlungen gerade bei Online-Händlern in den Vordergrund. Drei Startups lösen dieses Thema auf völlig unterschiedliche und für mich auf interessante Weise. Vereinfacht gesagt: Bei dem einen entscheidet der Computer, im anderen Fall der Sommelier und beim dritten Unternehmen sind sowohl Computer als auch Sommelier dabei.
Für die Auswahl per Computer steht Navinum aus Hamburg, gegründet von Jan Bechler, Tim Nedden und Bjoern Slut. Die drei haben keine Winzerhistorie und verfügen auch über kein echtes Weinwissen. Sie sind aber Onliner und überzeugt vom E-Commerce-Handel. Wer auf der Website Navinum.de sofort nach Listen von Wein-Angeboten sucht, wird enttäuscht sein. Nach der Anmeldung müssen Weinliebhaber erste einige Fragen zu ihrem persönlichen Weingeschmack beantworten, bevor ihnen anschließend personalisierte Weinempfehlungen gegeben werden.
„Unser Credo lautet: Nie mehr den falschen Wein auswählen“, erläutert Jan Bechler. Nach seiner Meinung stehen fast 90 Prozent der Weinliebhaber vor dem Problem, den richtigen Wein auszuwählen. Neben dem unterschiedlichen Geschmack komme schließlich noch der jeweilige Anlass hinzu. Für ein Festessen müsse halt ein anderer Wein gefunden werden als für ein einfaches Nudelgericht. Den Algorithmus für die Auswahl der richtigen Weine haben die Gründer aus verschiedenen Quellen und mit Hilfe von Sommeliers und Weinexperten entwickelt. Navinum hat kein eigenes Lager, sondern arbeitet mit den Großen der Branche zusammen – wie Hawesko, Ebrosia und Rindchen’s Weinkontor.
Genau wie ich, fragen Sie sich jetzt bestimmt auch, was passiert, wenn Sie sich passende Weine von verschiedenen Anbietern aussuchen? Bechler meint dazu: „Das werde aufgrund des großen Angebots der jeweiligen Weinhändler weitestgehend vermieden.“ Die Zahl der Anbieter, für die Navinum ein weiterer Vertriebskanal ist, soll auf jeden Fall weiter steigen. „Wir planen das größte Weinsortiment in Deutschland“.
Mit dem größten Weinangebot in Deutschland lassen sich nach Meinung von Bechler noch viele weitere Vermarktungsmöglichkeiten entwickeln – zum Beispiel eine App für den Kauf von Weinen im Supermarkt. „Nach dem Fotografieren des Barcodes auf dem Etikett wissen Weinliebhaber sofort, ob der jeweilige Wein im Supermarkt zu Ihrer Geschmacksrichtung passt“, erläutert Bechler. Oder falls der Wein im Restaurant gut geschmeckt hat: mit der App von Navinum, die im November auf den Markt kommt, kann der Kunde sich solche Weine merken, bewerten und dann zum günstigen Preis bei Navinum nachkaufen.
Navinum hat Anfang 2013 eine Finanzierungsrunde im niedrigen siebenstelligen Bereich abgeschlossen. Insgesamt vier Investoren unterstützen das Unternehmen, darunter sowohl klassische Venture Capital Fonds wie auch erfahrene Online-Unternehmer. Investiert sind: Paua Ventures (Berlin), Otto Capital Parters (Brasilien), Grey Corp (München), Dr. Michael Trautmann (Hamburg).
Einen völlig anderen Weg wählt der Online-Händler Vipino. Dort übernimmt nicht der Computer die Auswahl der passenden Tropfen, sondern bekannte Sommeliers stellen ihre Lieblingsweine vor. Vipino übernimmt für die Experten die gesamte logistische Abwicklung. „Mit unserem Angebot können die Fans der jeweiligen Sommeliers deren Weine über nur einen Online-Händler bestellen“, meint Iris Huber, Geschäftsführerin von Vipino. Ein Novum, denn bislang gab es für einige Sommelier-Weine keinen Händler in Deutschland und andere wiederum konnten nur vereinzelt über unterschiedliche Händler gekauft werden.
Bei den Empfehlungen der Experten sind sowohl Neuentdeckungen als auch eher bekanntere Weine zu finden. „Neben einem attraktiven Preis-Leistungs-Verhältnis, sollte der Wein eine eigene Handschrift des jeweiligen Sommeliers haben“, meint Iris Huber
Seit vergangener Woche neu hinzugekommen ist auf Vipino Paula Bosch, Deutschlands erste Sommelière in diesem von Männern dominierten Beruf. Ich kenne ihre Weinempfehlungen noch aus der Zeit, als sie für die Süddeutsche Zeitung zusammen mit dem „Jahrhundertkoch“ Eckhard Witzigmann für das SZ Magazin gearbeitet hat. Ihretwegen hat der Gault-Millau den Titel „Sommelier des Jahres“ geschaffen und als allererste Sommelière des Jahres Paula Bosch ausgezeichnet.
Ihre Weine auf Vipinio habe ich noch nicht bestellt, dafür habe ich schon einige Empfehlungen von Michael Liebert, mit dem ich mich regelmäßig austausche, gekauft und verkostet. Vor allem seine Auswahl an italienischen Weinen ist exzellent. Besonders gut gefallen haben mir die Tropfen des für mich eher unbekannten Weinguts Torre d'Orti aus Venetien. Vom einfachen Landwein über den Ripasso bis hin zum Amarone bieten alle drei Weine ein gutes Preis-Leistungsverhältnis. Vor kurzem wollte mich ein Weinfreund noch mit seinem gekauften Amarone beeindrucken. Doch ich habe ihn mit dem wesentlich günstigeren Ripasso von Torre d’Orti beeindruckt. (Mehr zum Thema Ripasso)
Die Weine auf Vipino können auf verschiedene Arten ausgewählt werden. Zum einen über den Sommelier selbst oder auch über das Land oder die Traubenfarbe. Ungewöhnlich ist die Wahl über den jeweiligen Anlass: So gibt es Alltags- und Sofaweine oder auch Schmeichler sowie Wein zum Feiern. Im Sommer gab es auch Terrassenweine.
Vipino startet auch ungewöhnliche Aktionen: Zum Beispiel die preisgünstigere „gemeinsam-Wein-kaufen“-Aktionen. Wer entsprechend mitbestellt, wenn ein Transport ansteht und bei Bestellung zahlt, bekommt den Mitbestell-Preis. Letztens hat Sommelier Michael Liebert eine Partie eines speziellen Brunello auf einem Weingut entdeckt und für die Vipino-Kunden gesichert. Für 20 Euro ist es ein exzellenter Tropfen. Da konnte ich nicht widerstehen und habe mir drei Flaschen zugelegt.
Finanziert wird das Unternehmen von einem kleinen Kreis privater Weinfreunde durch Privatdarlehen. Derzeit kann Vipino auf langfristige Darlehenszusagen von 200.000 Euro zurückgreifen. „Bisher war jede Flasche Wein, die wir aus Italien oder Spanien geholt haben, bezahlt bevor sie im Lager eingetroffen ist“, sagt Iris Huber. Somit agiere Vipino unabhängig von Lieferanten und Banken, denn auch die Bankkonten werden auf Guthaben-Basis geführt.
Der dritte im Bunde ist Sommelier Privé, eine Mischung aus den beiden vorherigen Konzepten: Die Auswahl aller im Online-Shop verfügbaren Weine treffen verschiedene Sommeliers. Über einen Geschmackstest erhalten Weinliebhaber anschließend auf ihren Geschmack abgestimmte Empfehlungen. Doch die Teilnahme an einem Geschmacktest ist - im Gegensatz zu Navinum - keine Voraussetzung für den Einkauf.
Die rund 150 bis 200 Weine im Online-Shop können individuell bestellt werden. Zuvor können Kunden einen Geschmackstest online machen, um die für sie passenden Weine herauszufinden. Um einige Weine auszuprobieren, haben die Weinexperten zusätzlich noch Verkostungspakete mit mehreren Flaschen „geschnürt“. Auch gibt es die Möglichkeit ein quasi „individuelles Weinabo“ abzuschließen. „Nur bei unserem Weinabo ist ein Geschmackstest erforderlich, dabei werden die Weine nach dem individuellen Geschmack ausgesucht“, erläutert Philipp Nagels von Sommelier Privé. Bei dem Abo erhalten die Kunden monatlich drei neue Flaschen für insgesamt 49 Euro.
Marc Clemens und Sommelier Arno Steguweit haben das Unternehmen im Februar 2012 gegründet. Arno Steguweit hat in den Restaurants „Fischers Fritz“ (Berlin) und „Söl’ring Hof“ (Sylt) gearbeitet; beide sind mit jeweils zwei Michelin-Sternen ausgezeichnet. Die Zahl der Sommeliers bei Sommelier Privé ist mittlerweile gewachsen; unter anderem ist auch Hendrik Thoma aus Hamburg dabei, einer von nur drei Master Sommeliers in Deutschland. Beim Einkauf arbeitet Sommelier Privé mit verschiedenen Importeuren zusammen, etwa mit dem Weinwolf, einem Tochterunternehmen der börsennotierten Gesellschaft Hawesko. Einige Weine importiert das Start-up selbst.

Mehrere bekannte Investoren – wie zum Beispiel auch Christian Vollmann, bekannt als Mitgründer der Video-Plattform MyVideo oder als teilhabender Geschäftsführer der Dating-Plattform eDarling – haben das Unternehmen finanziert. Über sogenanntes Crowdfunding, Erwerb von stillen Beteiligungen über das Internet, hat Sommelier Privé mehr als 260.000 Euro eingesammelt. „Damit wollen wir unsere Marketing-Aktivitäten verstärken“, verspricht Marc Clemens von Sommelier Privé.
20 bis 21 Millionen Euro Umsatz will das Unternehmen in drei Jahren erzielen. Eine englischsprachige Website ist angedacht, eine weitere Option ist, das Geschäft um andere Produkte wie Whisky zu erweitern. Eine weitere Zielgruppe bilden auch Unternehmen, die auf der Suche nach passenden Weihnachtsgeschenken sind. „Diese haben bei uns die Sicherheit, dass sie nur erstklassige Weine geliefert bekommen“, meint Philipp Nagels.
Bei diesem Satz fühlte ich mich auch „geehrt“. Denn beim Stöbern auf der Website konnte ich feststellen, dass einige der Weine auch in meinem Keller lagern – beispielsweise der Kaiken Ultra Malbec (2011), Feudi di San Gregorio Cutizzi Greco di Tufo (2012), Penfolds Koonunga Hill Shiraz Cabernet Sauvignon (2012) und der Knipser Chardonnay & Weißburgunder (2012). Alles Weine, die mir sehr gut schmecken.









