Buchrezension: Warum jedem Unternehmen eine politische Marke guttäte

Der Aufruf zur Europawahl 2019 durch Lufthansa-CEO Carsten Spohr war ein Paradebeispiel für „CEO Activism“.
Die politischen Systeme stehen unter massivem Druck: Im Inneren erschweren polarisierte Debatten und eine sich ausbreitende populistische Revolte die Regierungsführung. Der Zusammenhalt der Bevölkerung gerät in Gefahr, Gewinner und Verlierer der Globalisierung stehen sich unversöhnlich gegenüber. In „Das Ende der Illusionen“ identifizierte jüngst der Kultursoziologe Andreas Reckwitz „die Arbeit an Grundregeln und -werten, die für alle gelten“, als eine „zentrale Herausforderung“.
Die Wirtschaft ist Teil einer Gesellschaft, in der traditionelle Industriearbeit, moderne, gut bezahlte Dienstleistungsarbeit, aber auch viele Beschäftigte im Niedriglohnsektor aufeinanderprallen. Die verschiedenen Lebensrealitäten prägen das Gemeinwesen und den Zusammenhalt einer Gesellschaft.
Johannes Bohnen setzt an diesen „vor-ökonomischen“ Gütern an, die eine erfolgreiche Geschäftstätigkeit beeinflussen. Er stellt fest, dass Unternehmen ein „großes Interesse an der Abfederung von gesellschaftlichen Fliehkräften haben“. Dies ist ein Denkanstoß für eine neue Form der Unternehmenskultur in Deutschland.
Die Trennung von Politik und Wirtschaft wäre deshalb künstlich. Vielmehr tragen Unternehmen Verantwortung, und zwar nicht nur für das Wohl und die Sicherheit ihrer Beschäftigten sowie nachhaltige Lieferketten und vieles mehr, was unter dem Stichwort „Corporate Social Responsibility“ (CSR) zusammengefasst wird. Unternehmen sind Akteure im öffentlichen Raum. Eine neue „Corporate Political Responsibility“ (CPR) würde der Unternehmensmarke „Einzigartigkeit“ verleihen und diese „ergänzen und stärken“.
Dem öffentlichen Raum kann die Wirtschaft sich nicht entziehen – täte sie es, wäre es selbstschädigend, denn ein funktionierendes Gemeinwesen, in dem Bürgerinnen und Bürger gerne leben und staatliche Institutionen handlungsfähig sind, ist Grundlage für Prosperität und Standortsicherheit.

Joachim Lang ist Hauptgeschäftsführer des BDI.
Es muss der Primat der Politik gelten, aber das Wirtschaftliche ist eben auch politisch. Hier geht es vor allem um die staatliche Steuerungsfähigkeit und den unternehmerischen Einsatz für Bildung und demokratische Debattenkultur.
Der Autor zeigt eindrucksvoll auf, warum die gesellschaftspolitische Verantwortung von Unternehmen ein „business case“ sein sollte. Dabei verlässt er eingetretene Pfade wie das Konzept der CSR und konzentriert sich auf den Allgemeinwohl stiftenden Sinn des Unternehmertums in der Sozialen Marktwirtschaft.
Er regt eine Neuerfindung des unternehmerischen Selbstverständnisses an: Unternehmen müssten sich als Staatsbürger mit größerer Reichweite und „Demokratie-Verstärker verstehen“. Der Staat müsse als Regelsetzer akzeptiert werden. Die ökonomische Tätigkeit und ihr Erfolg seien nämlich in hohem Maße davon abhängig, dass die „vor-ökonomischen“ Güter in Form funktionierender staatlicher Institutionen und demokratischer Debattenkultur bereitgestellt werden.
Genau hier verläuft für ihn die Abgrenzung zur Parteipolitik. Unternehmen sollten vielmehr ein genuines Eigeninteresse haben, die Demokratie als Grundlage für Rechtsstaatlichkeit und Planungssicherheit zu stärken. Bohnen legt besonderen Wert auf „CEO Activism“: Damit ist deren Engagement für politische Zusammenhänge gemeint, also beispielsweise der Aufruf zur Europawahl durch Lufthansa-CEO Carsten Spohr.



Bohnens CPR-Konzept ist eine mutige, durchdachte Anleitung. „Unternehmen sollten ihre politische Marke systematisch entwickeln – im aufgeklärten Eigeninteresse“, lautet die treffende zentrale These des Buchs.
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