Asia Techonomics: Chinas Jugend fährt Fahrrad – Regierung fürchtet Regimekritik

Berlin. In den vergangenen Tagen wurden im chinesischen Internet beeindruckende Bilder geteilt: Tausende junge Chinesinnen und Chinesen fahren vergnügt auf Leihrädern im Dunkeln. Sie sind so viele, dass ihre Räder die in chinesischen Großstädten üblichen sehr breiten Straßen komplett einnehmen und kaum noch Platz für Autos lassen. Ihr gemeinsames Ziel: die Stadt Kaifeng in der ostchinesischen Provinz Henan. Ihr Anliegen: Die lokale Spezialität essen, eine Teigtaschen-Suppe.
Der Trend startete laut einigen Beobachtern im Juni und soll so begonnen haben: Eine Studentin brach gemeinsam mit ihren Freundinnen vom rund 70 Kilometer entfernten Zhengzhou zu einer Tour nach Kaifeng auf, um dort Dumplings – also besagte Teigtaschen – zu essen und postete das in sozialen Netzwerken. Dort ging der Beitrag viral.
Andere Beobachter sagen hingegen, dass der Trend erst Anfang November so richtig Fahrt aufgenommen habe. Zwischenzeitlich fuhren mehr als 100.000 junge Chinesinnen und Chinesen die Strecke gemeinsam.
Es ist nicht das erste Mal, dass ein Trend in chinesischen Netzwerken startet und zu riesigen Massenbewegungen führt. Erst im März war Tianshui, das mit rund 3,5 Millionen Einwohner zu den mittelgroßen Städten Chinas zählt, von Touristen nahezu überrannt worden. Sie wollten die lokale Spezialität Tianshui Malatang probieren, eine besonders scharfe Variante des Hot Pots.
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Auch in der ostchinesischen Industriestadt Zibo war es vergangenes Jahr das Essen, das Zehntausende lockte. Allein im März 2023 kamen laut Medienberichten auf einmal 4,8 Millionen Besucher. Der Ursprung auch hier: Beiträge in den chinesischen sozialen Netzwerken über die lokale Spezialität, eine recht kostengünstige Barbecue-Variante.
Die chinesische Kommunistische Partei beobachtet solche Massenbewegungen genau. Die Stimmung im Land ist angespannt, insbesondere unter jungen Leuten. Vielen von ihnen fehlt die Perspektive, nach einer harten und entbehrungsreichen Schulzeit glauben sie nicht mehr daran, dass sie nach ihrem Studium einen guten Job bekommen.
Im Juli waren mehr als 17 Prozent der Chinesinnen und Chinesen zwischen 16 und 24 Jahren arbeitslos. Hinzu kommen die immer stärker werdenden Repressionen in dem autoritären System.
Ende Oktober wurden unter anderem in Shanghai sogar Halloween-Feiern von den Behörden unterbunden – aus Angst, dass die jungen Leute ihre Verkleidungen für Kritik an der Kommunistischen Partei nutzen. Im vergangenen Jahr hatte es vereinzelte Chinesinnen und Chinesen gegeben, die sich etwa als Dabai („Große Weiße“) in weiße Schutzanzüge gekleidet hatten – eine zaghafte Kritik an den strengen staatlichen Restriktionen während der Coronapandemie.
Und so griffen die Behörden auch in Kaifeng bereits ein und sperrten die Stadt für nicht motorisierte Fahrzeuge. Das hielt Zehntausende junge Leute aber nicht davon ab, es dennoch zu versuchen – zu Fuß, wie Manya Koetse berichtet, die Trends in chinesischen sozialen Netzwerken beobachtet.
Experten glauben, dass Phänomene solcher Art zeigen, wie angespannt die Situation für junge Leute in China ist – und wie dringend sie vergnügliche Aktivitäten wie die gemeinsamen Fahrradtouren brauchen.


In der Kolumne Asia Techonomics schreiben Nicole Bastian, Martin Benninghoff, Sabine Gusbeth, Dana Heide, Martin Kölling und Mathias Peer im Wechsel über Innovations- und Wirtschaftstrends in der dynamischsten Region der Welt.
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