Problemlösungskompetenz: Ändert sich die Perspektive, ändert sich der Blutdruck

Probleme haben Hochkultur. Wohin wir auch blicken, überall entdecken wir ein neues. Wir wissen nicht genau wie, aber sie vermehren sich über Nacht. Das Problem ist ein herausforderndes Wesen: Es lacht uns ins Gesicht, bis wir es mit ihm aufnehmen. Wir nehmen es ernst, gehen ihm auf den Grund und bewältigen es mit Sachverstand und Ingenieurskunst – eine technologische Lösung muss her.
Die Amerikaner haben Millionen investiert, um für die Apollo-Mission den Space Pen zu entwickeln, damit die Astronauten selbst in der Schwerelosigkeit kopfüber mit ihrem Kugelschreiber Notizen machen können. Doch oft gibt es auch eine Lösung abseits der Technologie. Die Russen haben das Problem im All mit einem Bleistift gelöst.
So betrachtet, ist das Problem oft gar nicht das Problem, sondern unser Blick darauf.
Mich eingeschlossen: Am Samstag genoss ich den Garten und die Ruhe. Doch ein Baggerfahrer hatte andere Pläne und riss die Straße vor dem Haus auf. Wutentbrannt stürmte ich die Auffahrt hinunter und sah meinen kleinen Sohn mit strahlenden Augen auf dem Bordstein sitzend, wie er dem Baggerfahrer zuwinkte.
Zwei Minuten später war ich mit Apfelsaft und Keksen zurück. Der Fahrer – ein Meister seines Fachs – zeigte, was sein A 918 Compact drauf hat. Ein wundervoller Vater-Sohn-Tag und eine Erkenntnis fürs Leben: Manche Probleme lösen sich in Luft auf, wenn wir es mit anderen Augen betrachten.
Problemlösungskompetenz: Eine Frage der Perspektive?
In unserer Erregungsgesellschaft neigen wir dazu, aus jeder Mücke einen Elefanten zu machen. Bei genauer Betrachtung sind viele Aufreger jedoch nur Eintagsfliegen. Ändert sich unsere Perspektive, ändert sich der Blutdruck. Damit können wir uns, dem Unternehmen und der Gesellschaft einiges ersparen. Invation statt Innovation. Problemlösung im Kopf statt im Außen.
Wer einmal in den Niederlanden unterwegs war, erkennt, Tempo 100 bringt nicht das Ende der Mobilität, sondern dich auch ans Ziel. Problemlösung beginnt im Kopf, und da ist viel Platz. Invation setzt am Menschen und nicht am Produkt an.
Eine Hürde, warum Menschen ihre Medikamente nicht nehmen, ist der Beipackzettel, in Punktgröße sechs gedruckt, wirkt er wie ein juristisches Dokument und eine Auflistung aus der Kammer des Schreckens. Das Wohlbefinden von Millionen Menschen könnte sich schlagartig erhöhen, wenn wir die Darreichung dieses Schriftstückes ändern – das Medikament bleibt, wie es ist.
Ändert sich die Vorstellung im Kopf, ändert sich der Heilungsprozess. Wir wissen nicht warum, aber rote Tabletten wirken besser als weiße und bittere Medizin besser als süße. Damit kann man arbeiten. Invation macht es möglich.
Die Kunst, ein Problem zu lösen, ohne dass es Geld kostet. Nie war sie so wertvoll wie heute. Das sollten wir nutzen, ein altbekanntes Beispiel: die Organspende. Deutschland liegt mit 869 gespendeten Organen im Jahr 2022 weit abgeschlagen in Europa – mit abnehmender Tendenz. Benötigt werden zehn Mal so viel. Die einfachste Art, das Problem zu lösen, ist, das Blatt umzudrehen: jeder ist ein Organspender – mit eingebautem Widerspruchsrecht. In 21 Ländern der EU hat es funktioniert.
Invation wirkt in allen Industrien und allen Unternehmen. Der Energiesektor, der bekanntlich über unsere Zukunft und die des Planeten entscheidet, kann im Handumdrehen davon profitieren.
Youriko Koike, Japans frühere Ministerin für Umwelt und globale Umweltprobleme, setzte den Krawattenzwang für Staatsangestellte und in Unternehmen außer Kraft. Mit einer Krawatte um den Hals fühlt sich die Welt zwei Grad heißer an. Die Klimaanlagen mussten weniger kühlen.
Auch im privaten Bereich zeigt sich, Energiesparen ist nicht nur eine Frage der Technologie, sondern auch der Motivation. Nichts bewegt Energiekunden mehr als der Blick über den Gartenzaun zum Nachbarn. Eine kleine Vergleichsgrafik in der Abrechnung macht den messbaren Unterschied: Sind die eigenen Kosten höher, ändert sich die Einstellung und das Verhalten.


Selbst in der Welt der Mobilität kann Invation einiges bewegen. Die Pünktlichkeit von Bussen und Bahnen zu erhöhen, ist eine Jahrhundertaufgabe. An der Haltestelle ist man dem Problem hilflos ausgeliefert. Doch ein kurzer Hinweis auf der digitalen Anzeigetafel gibt dem Gast die Kontrolle zurück. Das macht die Wartezeit nicht kürzer, aber das Problem und die Empörung kleiner.
Vielleicht mit Ausnahme meines Sitznachbarn letzte Woche. Die Durchsage, dass die Bahn zwei Minuten vor der Zeit in Düsseldorf einrollen würde, kommentierte er mit den Worten: „Die schaffen es, einfach nie pünktlich zu sein“. Aber das ist eine andere Geschichte.
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