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  4. Gesichtsmasken, Desinfektionssprays & Co.: Corona eignet sich nicht zum Wahlkampf

KommentarIn der Coronakrise schlägt die Stunde des Parlaments: Mischt euch endlich ein! Und hört zu!

Zu lange wurde in der Coronakrise von Bund und Ländern einfach durchregiert. Die Legislative sollte sich endlich ihrer Aufgaben besinnen.Thomas Tuma 16.11.2020 - 14:08 Uhr Artikel anhören

Welche Regeln sollen gelten, um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen? Darüber sollte das Parlament entscheiden – und nicht nur Kanzlerin und Länderchefs.

Foto: dpa

Der Mensch gewöhnt sich an vieles: Mülltrennung, Haarausfall, den nahenden Klimawandel ... In Coronazeiten gewöhnte er sich darüber hinaus an Gesichtsmasken, Desinfektionssprays und überraschend schnell auch an die Einschränkung seiner Grundrechte.

Alles im Namen der Volksgesundheit, wogegen zunächst nichts einzuwenden wäre außer vielleicht der Frage: Geht’s da – im wahrsten Sinne des Wortes – noch mit rechten Dingen zu?

Jüngst berieten wieder einmal Kanzlerin und Ministerpräsidenten der Länder über die Lockdownmaßnahmen. Mit welchem Recht entscheiden sie über das Wohl und Wehe in einer selbst von den fachkundigsten Virologen nicht wirklich quantifizierbaren Bedrohung? Dem Infektionsschutzgesetz (über das noch gesprochen werden muss)? Oder berufen sie sich auf den akuten Notfall (von dem knapp ein Jahr nach dem Auftauchen des Virus ja wohl keine Rede mehr sein kann)? Oder treibt sie einfach die Lust am Durchregieren ohne lästige Gewaltenteilung?

Zumindest das Parlament scheint tatsächlich wie paralysiert angesichts der Notverordnungs-Diarrhö der Exekutive. Religions- oder Versammlungsfreiheit? Kann auch mal eingeschränkt werden. Ebenso wie Reise-, Gewerbe- oder Berufsfreiheit. Die Wirtschaft? Wird mit Bürgschaften, Krediten, Hilfspaketen ruhiggestellt, als gäb’s kein Morgen.

Viele der frühen wie auch aktuellen Maßnahmen zur Eindämmung von Corona wie etwa das unselige Beherbergungsverbot lassen jede Evidenz vermissen. Und wenn darüber schon nicht im Bundestag offen diskutiert wird, muss der Volkszorn sich fast zwangsläufig außerparlamentarisch entladen.

Corona eignet sich nicht zum Wahlkampf

Am vergangenen Wochenende prallten in Frankfurt „Querdenker“ mit linken Gegendemonstranten erstmals derart heftig aufeinander, dass beide Gruppen mit Wasserwerfern zur Raison gebracht werden mussten. Es ist der vorläufige Tiefpunkt einer Entwicklung, die der untätige Bundestag mitverschuldet hat.

Eine Zeitlang mag das ganz komfortabel gewesen sein, jemanden zu haben, der sagt, wo’s langgeht – für die Führung wie die Geführten. Aber Corona eignet sich nicht zum Wahlkampf, wie Bayerns Ministerpräsident Markus Söder längst schmerzhaft erfahren hat.

Am Anfang inszenierte er sich als Hardliner unter den Virenbekämpfern. Schaut man sich die Infektionszahlen seines Freistaats an, muss man sagen: Vom weiß-blauen Virenschreck ist nicht viel übrig.

Überhaupt ist die bisherige Regierungspolitik voller Pannen und Peinlichkeiten, Defiziten und Desastern. Und die immerhin direkt von ihrem Volk gewählten Parlamentarier? Schauen zu. Nicken ab.

„Freiwillige Selbstentmachtung“ des Parlaments

Am Mittwoch soll der Bundestag den Entwurf eines dritten Bevölkerungsschutzgesetzes verabschieden, das so verfassungswidrig ausfallen könnte wie die beiden davor – allenfalls noch akribischer bürokratisiert, denn nun werden Ausgangsbeschränkungen, Beherbergungsverbote, die Schließung von Betriebsstätten oder die Streichung von Kultur- oder Sportveranstaltungen jederzeit exekutierbares Recht.

Die „freiwillige Selbstentmachtung“ des Parlaments sei „falsch, gefährlich und anhaltend schädlich“, wettert kein AfD-Grande, sondern der renommierte Jurist und „SZ“-Kolumnist Heribert Prantl.

„Auch wer die Gesundheit und das Leben der Bevölkerung schützen will, darf nicht beliebig in die Grundrechte eingreifen“, mahnt kein „Corona-Leugner“, sondern Hans-Jürgen Papier, ehemaliger Richter am Bundesverfassungsgericht. „Wenn es überhaupt einen absoluten Wert in unserem Grundgesetz gibt, dann ist das die Würde des Menschen. Die ist unantastbar. Aber sie schließt nicht aus, dass wir sterben müssen“, sagte wer? Kein unbelehrbarer Utilitarist, sondern der amtierende Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble.

Nur hat sich in den vergangenen Monaten ein Meinungsmainstream entwickelt, der solche Zwischentöne nicht mehr duldet, sondern nur noch wenig mehr erlaubt als die Zugehörigkeit zu zwei sich unversöhnlich und lautstark gegenüberstehenden Lagern: Auf der einen Seite stehen jene, die alle Maßnahmen bedingungslos verteidigen oder gern noch härtere hätten. Auf der anderen Seite schimpfen solche, die sich auf Demos schon dadurch für Freiheitskämpfer halten, dass sie keinen Mund-Nasen-Schutz tragen.

Zwischen diesen Fronten werden Freiheit und Sicherheit gegeneinander ausgespielt, obwohl das eine ohne das andere nicht zu haben ist. Aber für eine Kultur des Einander-Zuhörens müsste gerade der Bundestag sich als adäquate Bühne verstehen, denn schneller als die Zahl der Neuinfektionen wächst die Zahl der Zweifler, die die beschlossenen Maßnahmen zwar zähneknirschend mittragen, sich aber doch zugleich fragen: Ist das alles noch verhältnismäßig?

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Es geht um Akzeptanz. Um Verständnis füreinander. Es geht um Glaubwürdigkeit. Insofern kann man unseren Parlamentariern nur empfehlen: Mischt euch endlich ein! Und hört zu! Nicht nur den Virologen, sondern auch den Allgemeinmedizinern, Pathologen, Epidemiologen. Den Ethikern und Philosophen. Den Müttern und Vätern. Den Juristen, Psychologen, Soziologen. Den Alten. Den Jungen. Den Künstlern. Achtet auf ihre Zwischentöne!

Die so gern als Kampfbegriff genutzte „Diversity“ sollte eben nicht bei Hautfarbe oder Geschlecht enden. Vielfalt der Perspektiven könnte uns auch und gerade in der Corona-Debatte helfen.

Mehr: Bei Husten in Quarantäne? Das steht in der Beschlussvorlage der Bundesregierung.

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