Kommentar: Ob Ukraine oder Pandemie: Scholz verliert an Autorität

Der Ansatz, Merkels Regierungsstil weiter zu führen, funktioniert für den Bundeskanzler noch nicht.
Olaf Scholz nimmt für sich in Anspruch, die Dinge wie Angela Merkel vom Ende her zu denken. Doch diesem Anspruch wird der Bundeskanzler derzeit nicht gerecht. Statt eine Politik der langen Linien, die auf ein klares Ziel zusteuern, betreibt Scholz in der Coronakrise eine Politik des Hoppla-hopps, die in der Sackgasse landet. Oder er wird wie in der Ukrainekrise als Bremser wahrgenommen.
Langsam, aber stetig verliert der Bundeskanzler dabei jene Autorität, die er sich mit seiner historischen „Zeitenwende“-Rede Ende Februar erst so eindrucksvoll erworben hatte.
Markig überraschte Olaf Scholz noch vor Amtsantritt mit der Ansage, eine Impfpflicht einführen zu wollen. Er selbst machte sich allerdings wegen des Widerstands der FDP einen schlanken Fuß, indem er die Abstimmung im Bundestag zu einer Gewissensfrage erklärte. Die Impfpflicht legt die schon bei Koalitionsbildung angelegten inneren Konflikte der Ampel schonungslos offen, die durch den Ukrainekrieg bislang aber übertüncht wurden: den Freiheitsdrang der FDP auf der einen und den Wunsch nach staatlichen Eingriffen von SPD und Grünen auf der anderen Seite.
Am Ende scheiterte Scholz an seiner Verantwortungsflucht und die Ampel an ihrer eigenen Hybris, wie die unwürdige Bundestagsdebatte offenlegte. Nach der Abstimmungsniederlage gibt es gar keine Impfpflicht, obwohl Scholz noch groteskerweise die Außenministerin vom Nato-Treffen zur Abstimmung nach Berlin einfliegen ließ. Der Kanzler hat bei der Impfpflicht nicht geführt, sondern sich von der FDP führen lassen, und zwar in ein Desaster.
Auch in der Zusammenarbeit mit den Ländern hakt es. Scholz’ Gesundheitsminister Karl Lauterbach sorgt mit Volten immer wieder für Aufregung. Aber auch der Kanzler selbst steht wegen seiner Coronapolitik in der Kritik. Nun verhakten sich Bund und Länder noch bei den Flüchtlingskosten, auch SPD-Ministerpräsidenten sind auf ihren Kanzler alles andere als gut zu sprechen. Auch hier wirkt das Vorgehen des Kanzleramts wenig planvoll, obwohl Scholz doch angeblich für alles immer einen Plan hat.
Ein nicht ganz so schlechtes, aber doch zunehmend trüberes Bild zeigt sich auch im Ukrainekrieg. Mit seiner Zeitenwende-Rede weckte der Kanzler selbst die Erwartung, Deutschland übernehme jetzt jene Führungsverantwortung, die dem Land ob seiner Größe, geografischen Lage und Wirtschaftsstärke de facto längst zugefallen ist.
Doch seit seiner Rede hat Scholz offenbar die Höhenangst befallen. Der Kanzler nähert sich dem Punkt an, an dem er vor seiner Rede stand. In Teilen Europas wird er wieder als Zauderer wahrgenommen. Deutschland handelt – wenn überhaupt – zu langsam und erst dann, wenn das Zögern bereits Schaden angerichtet hat.

Der SPD Politiker steckt in einer Zwickmühle.
Scholz steckt in der Falle, aus der er keinen rechten Ausweg weiß. Da ist auf der einen Seite die berechtigte Forderung derer, die härtere Sanktionen fordern. Wenn es das Ziel des Westens ist, die Ukraine in ihrem Recht auf Selbstbestimmung zu unterstützen und somit die Invasion Putins zum Scheitern zu bringen, ist Zeit der bestimmende Faktor. Der Westen müsste dann sofort im größtmöglichen Umfang Waffen liefern. Und er müsste womöglich auch ein umfassendes Öl- und Gasembargo verhängen.
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Zuletzt zogen südeuropäische Politiker sogar immer öfter Vergleiche mit der Euro-Krise. So, wie sich Griechenland mit seiner laxen Finanzpolitik in eine Sackgasse manövrierte, so manövrierte sich Deutschland mit seiner Energiepolitik in eine Sackgasse. In der Euro-Krise verordnete Deutschland den taumelnden Ländern eine Schocktherapie. Wendet man dieses Rezept auf Deutschland an, müsste Berlin die Energieimporte abrupt beenden, auch wenn das in eine tiefe Rezession führt, so die Logik in Südeuropa.






Allerdings hinkt dieser Vergleich auch. Deutschland ist kein kleines Peripherieland, sondern als größte Volkswirtschaft Vertrauensanker des Währungsraums. Und viele EU-Länder stellen im Ukrainekrieg zwar markige Forderungen auf, verstecken sich aber auch gern hinter dem großen Deutschland.
Jeder weitere Schritt ist unbestreitbar mit hohen Risiken verbunden. Das gilt keineswegs nur wirtschaftlich für Deutschland im Fall eines umfassenderen Energieembargos, dessen Folgen niemand absehen kann. Selbst Importsteuern auf russische Energieimporte wären kurz vor der Frankreich-Wahl mit einer immer stärker werdenden Marine Le Pen ein Pokerspiel, bei dem der Einsatz der Euro ist.
Die Situation ist ohne Zweifel schwierig, aber Scholz muss dringend aus der Rolle des Getriebenen herauskommen. Der sonst drohende Reputationsschaden könnte groß sein – und als politische Kriegskosten noch lange schwer auf Deutschland lasten.
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